15.02.2005

Nichtexistente »KonsumentInnensouveränität«

Pro-Behauptung drei: Studiengebühren stärkten die Position von StudentInnen innerhalb der Hochschule. Wenn StudentInnen als KundInnen geworben werden müssten, würde die Qualität der Lehre perspektivisch besser werden.

Richtig ist: Studiengebühren erhöhen keineswegs den gesellschaftlichen oder hochschulpolitischen Einfluss von StudentInnen. Gebühren hätten vielmehr die Konsequenz, das Recht auf Bildung weiter auszuhöhlen und politische Beteiligungsrechte zu reduzieren. Gleichzeitig verstärken sie Fremdbestimmung und Abhängigkeit von den anonymen gesellschaftlichen Wirkungsmächten des Marktes. Sie fördern schließlich ein Bildungsverhalten und indirekt auch eine Wissenschaftsentwicklung, die an kurzfristiger Verwertbarkeit mehr orientiert sind als an realer Problemlösung. Eine solche Entwicklung wäre gesellschaftlich nicht wünschenswert. 

Die angeführte Argumentation appelliert indirekt an die Volksweisheit, dass, wer die Musik bezahlt, auch bestimmt, was gespielt wird. Unbestritten ist, dass Studiengebühren die Stellung von StudentInnen innerhalb der Hochschule radikal verändern würden. Ebenso unbestritten ist, dass, wer Geld für eine Sache bezahlt, mit diesem Zahlungsvorgang auch eine spezifische Wirkung ausübt. Ob dies jedoch mit einem Zuwachs an Freiheit und Selbstbestimmung verbunden ist, kann aus mehrerlei Gründen bezweifelt werden.

Der Markt kann keine Partizipationsmöglichkeiten schaffen

Der (immer nur relative) Grad an gesellschaftlicher Freiheit ergibt sich aus dem Zusammenwirken von sozialen Rechtsansprüchen, politischen Partizipationsmöglichkeiten und natürlich Geld. Diese verschiedenen Steuerungsmedien – Recht, Politik und Geld – sind nicht gegenseitig ersetzbar. Studiengebührenkonzepte wollen jedoch die heutige Stellung von StudentInnen, die durch spezifische mitgliedschaftliche Rechtsansprüche und politische Mitbestimmungsgarantien innerhalb der Hochschule geprägt ist, perspektivisch durch eine Marktbeziehung zwischen VerkäuferInnen und KundInnen ersetzen. Dies ist identisch mit einem Abbau an Rechtsansprüchen und politischer Beteiligung. So besteht etwa der gemeinsame Nenner aller gegenwärtig gehandelten Bildungsgutschein- und Studiengebührenmodelle darin, den Hochschulzugang durch ein Auswahlrecht der Hochschulen zu regulieren (vgl. etwa Stifterverband/CHE, 1998, S. 21, SVR Böckler, 1998, S. 33 und ExcellenTUM 2003, S. 79), was teilweise durch die siebte Novelle des Hochschulrahmengesetzes auch ermöglicht wurde. Dies ist keineswegs eine willkürliche und schikanöse Maßnahme, sondern die logische und zwingende Konsequenz einer Marktbeziehung, welche formale Vertragsfreiheit bei allen Beteiligten voraussetzt. Ein Hochschulsystem, dessen einzelne Bestandteile unterschiedliche »Profile« ausbilden sollen und im Wettbewerb (auch um die »besten« StudentInnen) miteinander stehen, ist unvereinbar mit einer allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung in ihrer heutigen Form bzw. mit einem Zuweisungssystem durch die Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS). Das Institut der deutschen Wirtschaft hat dies in aller Klarheit auf den Punkt gebracht: »Freie Hochschulwahl und Auswahl der Studenten durch die Hochschule sind zwei Seiten derselben Medaille« (iwd, 25. Juli 1996, S. 30). Dass beide Prämissen des Satzes sich gegenseitig logisch aufheben, ist dem Autor entgangen. Eine freie Hochschulwahl gibt es in diesem Denkmodell nicht mehr. Sie reduziert sich auf die Freiheit, sich an einer Hochschule ohne Rechtsanspruch auf Immatrikulation bewerben zu dürfen. Gegenüber dem heutigen Zustand wäre dies ein substanzieller Abbau sozialer Rechte. Von einer »Stärkung« der BildungsnachfragerInnen in Gesellschaft und Bildungsinstitutionen kann folglich keine Rede sein. Hinzu kommt, dass Marktmechanismen gänzlich ungeeignet zur Steuerung des Bildungssystems sind: »Der Markt erzeugt permanent Ungleichheit. Als wirtschaftliches Steuerungssystem gehört die Gewährleistung von Gleichheit und Solidarität nicht zu seinen Aufgaben. Marktprinzip und Gleichheitsprinzip bilden extreme Gegensätze. Für die Akzeptanz der Marktsteuerung des Bildungswesens ist das von großer Bedeutung, denn zentrale Ziele der Bildungspolitik orientieren sich am Gleichheitsprinzip – vom Chancengleichheitspostulat zur dauerhaften Reduzierung von Ungleichheit« (von Reccum, 1997, S. 254f).
Schließlich soll noch erwähnt werden, dass Studiengebühren nur ein – wenn auch zentraler – Baustein des Übergangs zu einem Wettbewerbsmodell von Hochschule sind, das weitere Formen der Deregulierung in Richtung einer unternehmensähnlichen Verfassung nach sich zieht. Dazu gehört die schrittweise Einführung von Elementen einer betriebswirtschaftlichen Effizienzsteuerung (Aufsichtsräte, Top-down-Management), deren Kehrseite der Abbau von Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsstrukturen ist (vgl. Bultmann/Weitkamp, 1999, S. 34ff und 125ff). Auch in dieser Beziehung ist die KundInnenrolle, die StudentInnen künftig einnehmen sollen, gleichbedeutend mit ihrer statusrechtlichen Schlechterstellung innerhalb der Institution. Denn »Kunden sind ›Teilnehmer‹ auf Märkten, die sich frei für oder gegen konkurrierende Angebote entscheiden [...] Denkt man sich Studenten als Co-Produzenten von Ausbildung und somit als Mitglieder der (Produktions-)Organisation Hochschule, so müssen sie in den Leistungs- und Leitungszusammenhang einbezogen werden [können]. Vor allem hinge dann das Produkt von ihnen mit ab, sie wären als dessen Mitproduzenten dafür mitverantwortlich!« (Ronge, 1993, S. 14). Dass innerhalb der von Ronge beschriebenen historischen Kompromissarchitektur der Gruppenuniversität die Rechte der StudentInnen unterentwickelt und Gremien nicht demokratisch verfasst sind, kann kein Argument gegen die Ablehnung von Studiengebühren sein. Die Ziele von Demokratisierung und Ausbau von Rechten setzen ein politisch, also auf der Basis der Repräsentation von Interessen verfasstes Hochschulsystem voraus. Ein Marktmodell würde auch diese Voraussetzungen beseitigen.

Der Markt erzeugt Anpassungsdruck

Es bestreitet niemand, dass unter Bedingungen von Studiengebühren Fachbereiche und StudentInnen ein spezifisches gegenseitiges Interesse ausbilden würden, das anders beschaffen ist als heute. Vermutlich wird sich in diesem Kontext auch der Lehrbetrieb verändern. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig mit einer Steigerung des gesellschaftlichen Nutzens von Wissenschaft und Bildung verbunden, ebenso wenig mit einem Zugewinn an Gestaltungskompetenz auf Seiten der StudentInnen. Den BefürworterInnen von Gebühren geht es vor allem um eine Steuerung des individuellen Bildungsverhaltens nach Marktkriterien. Die beiden Finanzwissenschaftler Wolfram Richter und Wolfgang Wiegard brachten dies in der FAZ plastisch auf den Punkt. Bei einer generellen Gebührenregelung würde bereits die Entscheidung für ein bestimmtes Studienfach unter einem »Investitionsaspekt« erfolgen: »Das Studium ist dann als Investition in Humankapital zu begreifen. Sieht man von einigen Besonderheiten des Produktionsfaktors Humankapital ab, sind an die Akkumulation von Wissen grundsätzlich dieselben Kriterien anzulegen wie an andere Investitionsentscheidungen. Investitionen unterliegen einem Renditekalkül « (FAZ, 7. Februar 1998). Die besagte »Rendite« kann nur in Gestalt des künftigen Arbeitseinkommens gegeben sein. Die Steuerungswirkung besteht folglich darin, dass StudentInnen ungeachtet eigener Interessen und Fähigkeiten ihr gesamtes Lernverhalten an vorgegebenen gesellschaftlich anerkannten Leistungsstandards und potenziellen ökonomischen Verwertungschancen orientieren würden. Studiengebühren verstärken so einen strukturellen Zwang, sich anzupassen; oder wie es ein neoliberaler Nachwuchsökonom gesagt hat: »Durch Studiengebühren wird es für Studenten teurer, am Bedarf des Marktes vorbeizustudieren, und es kommt zu einer verbesserten Abstimmung von Ausbildungs- und Beschäftigungssystem” (Schwirten, 1998, S. 241). Es handelt sich um ein gesellschaftliches Leitbild, nach dem Individuen ihr eigenes Leben planen wie eine betriebswirtschaftliche Investition. Damit tragen sie natürlich auch die Risiken in einem größeren Umfang allein, als dies heute der Fall ist. Sie werden abhängiger von den anonymen Kräften des Marktes, auf die sie als Einzelpersonen keinen Einfluss haben: Wer die Kosten für öffentliche Ausgaben wie Bildung privatisiert, individualisiert zugleich die Risiken der auf diese Aufgaben bezogenen persönlichen Entscheidungen.
Die wissenschaftlichen Konsequenzen der Einführung von Studiengebühren wären schließlich die, dass die Fachbereiche ihrerseits indirekt gezwungen sind, ihre Angebote stärker auf den (Arbeits-)Markt auszurichten, um StudentInnen anzuwerben und zwar in dem Maße, wie die Hochschulen auf Einnahmen aus Gebühren angewiesen sind. Daher sind Studiengebühren ein zentrales Kettenglied um ökonomische Selbstanpassung der Subjekte, institutionelle Modernisierung der Hochschulen und gesellschaftliche Märkte miteinander zu verkoppeln. Entsprechend werden aber auch gesellschaftliche Probleme, die nicht über Marktsignale erfassbar sind, aus dem Aufgabenspektrum der Hochschule verdrängt. In letzter Konsequenz entstünde eine affirmative und opportunistische Standortwissenschaft, die sich ausschließlich an den Kriterien kurzfristiger Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse orientieren würde. Dies ist gleichbedeutend mit dem gesellschaftlichen Verlust an Zukunftsfähigkeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch die Einführung von Marktmechanismen in die Bildungsinstitutionen »kaum zu erwarten [ist], daß ein wohlfahrtsfördernder Wettbewerb zustande kommt [...] Die Folge wäre dann nicht eine Leistungssteigerung, sondern eine Leistungsverringerung an den Hochschulen« (Nagel/Jaich, 2002, S. 161).


Aktionsbündnis gegen Studiengebühren - http://abs-nrw.de/argumente/studiengebuehren/0062.html - Ausdruck erstellt am 11.10.2006, um 14:51:55 Uhr