15.02.2005

Geld ist genug da

Pro-Behauptung vier: Es sei kein Geld mehr da. Wir hätten lange Zeit über unsere Verhältnisse gelebt und müssten alle den Gürtel enger schnallen. Da folglich die staatlichen Bildungsausgaben prognostizierbar weiter sänken und gleichzeitig die gesellschaftliche Nachfrage nach weiter führenden Bildungswegen steige, gebe es zu einer privaten Kostenbeteiligung keine Alternative.

Richtig ist: Es ist genug Verteilungsmasse für eine expansive öffentliche Bildungsfinanzierung vorhanden – politischer Wille bzw. ein entsprechender politischer Druck vorausgesetzt. Die besondere Frivolität des Argumentes »leere Kassen« besteht darin, dass es sich bei diesem Zustand um eine Folge von Privatisierungspolitik der jüngeren Vergangenheit handelt, also um einen politisch herbeigeführten »Sachzwang«, der wiederum dazu herhalten muss, eine weitere Kostenprivatisierung öffentlicher Aufgaben, wie in der Studiengebührendebatte, zu begründen – eine ins Unendliche weiterführbare Spirale.

Das Standardargument der »leeren Kassen« verbürgt seit vielen Jahren die Entwaffnung jedweder Kritik und die Entpolitisierung jeder Diskussion um gesellschaftliche Prioritäten. Im Anschluss daran hört in der Regel die Debatte auf. Schließlich weiß jedeR, dass man Geld, das nicht da ist, auch nicht ausgeben kann. Folglich hat dieses Argument auch noch die Alltagsmoral sparsamer Haushaltsführung auf seiner Seite. Gerade in diesem Bündnis mit dem »gesunden Menschenverstand« liegt die ideologisch verfälschende Funktion des Arrangements »leere Kassen« im Hinblick auf die Beurteilung gesellschaftlicher Sachverhalte. Schließlich werden alle politischen Verteilungs- und Umverteilungsentscheidungen, die vor der banalen Feststellung liegen, es sei kein Geld mehr da, aus der Schusslinie möglicher Kritik genommen. Gesamtgesellschaftliche Verteilungsentscheidungen lassen sich aber nicht aus der Perspektive eines Familienvorstandes oder des Kassenwartes eines Fußballvereins sinnvoll debattieren.

Über die Höhe der Bildungsausgaben wird politisch entschieden

Selbst wenn man sich an den aktuell vorhandenen Steuereinnahmen orientiert, verweist die Tatsache, dass Bildungsausgaben sinken, nicht auf ein Naturgesetz, sondern lediglich auf andere politische Prioritäten bzw. darauf, dass Bildung eine schwache gesellschaftliche Lobby hat. Jahr für Jahr werden in den Haushaltsverhandlungen von Bund, Ländern und Gemeinden annähernd 500 Milliarden Euro umgewälzt. Zum Teil spiegeln sich in diesen Haushaltsbewegungen fest zementierte Einflüsse mächtiger gesellschaftlicher Gruppen wider. Wenn sich der rüstungsindustrielle Komplex den Großraumtransporter Airbus A400M mit acht Milliarden Euro (Spiegel-Online, 25. Januar 2002) Steuergeldern finanzieren lässt, kann dies auch so interpretiert werden, dass eine gesellschaftliche Hochschulreformbewegung zu schwach ist, um mit einem Bruchteil dieser Summe die akutesten Unterausstattungsprobleme der Hochschulen zu beseitigen. Ob Geld für Bildung vorhanden ist, lässt sich dann entscheiden, wenn man alle öffentlichen Ausgaben in ein Verhältnis zueinander setzt und dann über Prioritäten streitet. Bildung ist dabei in den vergangenen Jahren unter die Räder gekommen. Seit 1993 ist der Anteil der Bildungsausgaben (Grundmittel) am Bruttoinlandsprodukt (BIP) kontinuierlich gesunken. 1993 waren es noch 4,31 Prozent des BIP, 1995 dann 4,19 Prozent, 1997 noch 4,11 Prozent und schließlich 1999 noch 3,95 Prozent (BMBF, 2001, S. 341) Bei den Hochschulausgaben gilt hier: 1975 wurden 1,08% des BIP für Hochschulen ausgegeben, 2000 nur noch 0,85% (BLK 2003, S. 42). Bei den jeweiligen Resultaten handelt es sich um politische Entscheidungen und Kräfteverhältnisse und nicht um interessenneutrale Sachzwänge.

Leere Kassen sind kein Naturgesetz

Die im letzten Absatz dargelegte Argumentation beschränkt sich in der Auseinandersetzung mit den »leeren Kassen« auf die Ausgabenseite, die Einnahmenseite wird ausgeklammert. Zur Beurteilung der Finanzierungsspielräume für öffentliche Aufgaben müssen mindestens drei Größen in ein Verhältnis gesetzt werden: 1. privater Reichtum, 2. Sozialprodukt und 3. Staatseinnahmen (überwiegend aus Steuern). Wenn man dies konsequent betreibt, wird deutlich, dass sich die Proportionen der letzten 20 Jahre immer mehr in Richtung Privatisierung verschoben haben. Um nur ein typisches Haushaltsjahr zu nennen: 1997 gab es im Verhältnis zu 1990 ca. 300 Milliarden Euro als Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) mehr zu verteilen. Dennoch wurden im gleichen Zeitraum die öffentlichen Ausgaben heruntergefahren, insbesondere Bildungs- und Sozialausgaben gekürzt (Eißel, 1999, S. 61 und Daten aus DIW-Wochenbericht 31/97, S. 546). Dies spiegelt sich auf der Seite privater Einnahmen wie folgt wider: Während ArbeitnehmerInnen von 1982 bis 1997 3,3 Prozent ihres Nettoeinkommens eingebüßt haben, stiegen im gleichen Zeitraum die Einkommen der Selbstständigenhaushalte um 124 Prozent (ebd.). Wenn dabei gleichzeitig die öffentlichen Einnahmen stagnieren, bedeutet dies nichts anderes, als dass immer größere Teile des gesellschaftlich erzeugten Sozialproduktes privat angeeignet werden; allerdings nur von einer kleinen gesellschaftlichen Minderheit. Diese Umverteilung »von unten nach oben« spiegelt sich ebenso in der Steuerpolitik einer Entlastung »oben« wider, die zwangsläufig Kürzungen »unten« zur Folge hat (Eißel, 1998, S. 51). Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde dieser Kurs im Wesentlichen fortgesetzt (Hickel, 1999) oder gar verschärft. Eine mehrfache Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer, eine massive Senkung der Körperschaftsteuer und deren Umstellung auf das so genannte Halbeinkünfteverfahren dienen nur der Entlastung der Besserverdienenden. Entsprechend berechtigt fällt die Kritik aus, die der IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche an Eichels Sparprogramm in einem Brief an den Bundeskanzler äußert: »Schon aus Gründen einer gedeihlichen volkswirtschaftlichen Entwicklung ist es daher geboten, den Haushalt nicht nur durch Kürzungen ins Lot zu bringen, sondern mindestens gleichrangig die öffentlichen Einnahmen zu verbessern. Seit Jahren werden Gewinn- und Vermögenseinkünfte steuerlich privilegiert, vom außerordentlichen Zuwachs großer Vermögen ganz zu schweigen. Die Folgen sind ein aufreizend unterproportionaler Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens und ein wachsender Anteil von Gewinnen und privaten Vermögen, der produktiven Investitionen entzogen wird [...] Die Verheißung, die Steuerentlastung schaffe Arbeit, gehört ins Reich der ökonomischen Mysterien. Träfe sie zu, hätten wir Vollbeschäftigung, nachdem die Nettogewinne in den letzten zwölf Jahren annähernd ums Dreifache gestiegen sind« (zitiert nach: Frankfurter Rundschau, 10. August 1999). Man kann es nicht anders sagen: 16 Jahre Kohl und sieben Jahre Schröder haben die öffentliche Hand beinahe handlungsunfähig gemacht, weshalb ein Umdenken in der Steuerpolitik Grundvoraussetzung für sinnvolle politische Maßnahmen ist.

Die Unterfinanzierung des Bildungswesens ist politisch gewollt

Schließlich und endlich gibt es noch ein spezifisches bildungspolitisches Motiv, die Hochschulausgaben nicht zu erhöhen: »Ohne Finanznot würde sich an den Hochschulen nichts ändern«, so etwa – exemplarisch aber nicht einzig – der Prorektor der Universität Mannheim (Spiegel, 24. August 1998). Die bestehenden Hochschulstrukturen werden von den meisten wissenschaftspolitischen SpitzenfunktionärInnen als ineffektiv und nicht mehr zeitgemäß erachtet. Angestrebt wird der Übergang zu einem quasibetriebswirtschaftlichen Wettbewerbsmodell. Durch das Knapphalten der Mittel soll folglich ein entsprechender Effizienz- und Anpassungsdruck in die gewünschte Richtung erzeugt werden. Umgekehrt entspricht es einer organisationssoziologischen Binsenweisheit, dass, wenn man ungewollte Strukturen mit zusätzlichen Mitteln fördert, diese Strukturen auch gestärkt werden. Das ist der tiefere Kern des Minuswachstums fast aller Länderhochschulhaushalte. Es handelt sich dabei nicht in erster Linie um einen Reflex allgemeiner Sparzwänge, sondern um eine künstlich herbeigeführte und politisch gewollte Knappheit. Im Übrigen: Wie schnell auf einmal Geld da sein kann, wird dann deutlich, wenn es in die (aus herrschender Sicht) richtigen Strukturen fließt. So etwa, wenn ein Bundesland wie Bremen, das seine öffentlichen Hochschulen mit 200 Millionen Euro jährlich finanziert, auf einmal umgerechnet etwa 115 Millionen Euro Steuermittel zur Anschubfinanzierung einer privaten Hochschulgründung locker macht – geschehen im April 1999.


Aktionsbündnis gegen Studiengebühren - http://abs-nrw.de/argumente/studiengebuehren/0079.html - Ausdruck erstellt am 21.06.2006, um 08:42:46 Uhr