23.02.2005

Wer ist betroffen?

Die Zugangschancen zu Bildung sind in Deutschland stark von der sozialen Herkunft abhängig. Das zeigen nicht zuletzt die jüngsten Erhebungen wie die OECD-Bildungsstudie, die europäische Vergleichsstudie Euro Student 2000, die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks oder die PISA-Studie. Soziale Ungleichheiten, die bereits in der Schule ansetzen, werden beim Zugang zu den Hochschulen fortgeschrieben. So ist das Studium ein Privileg geworden, das stark vom sozialen Status und Bildungsgrad der Eltern abhängig ist. In Deutschland beginnen nur rund 30 Prozent eines Jahrganges ein Hochschulstudium (OECD, 2002, S. 248). Damit liegt die Bundesrepublik weit unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten, die immerhin noch einen Schnitt von 40 Prozent aufweisen. Auch die Betrachtung der sozialen Zusammensetzung der StudentInnenschaft bestätigt, dass zunehmend Kinder aus Elternhäusern mit hohem Nettoeinkommen und Hochschulabschlüssen ein Studium beginnen. So nehmen 81% der Kinder aus der sozialen Herkunftsgruppe »hoch«, jedoch nur 11% der Kinder der sozialen Herkunftsgruppe »niedrig« ein Studium auf (BMBF 2004, S. 119).

Trotz des erklärten Zieles von Seiten der Politik, dies zu ändern und die Studierquote deutlich zu erhöhen, wird die Einführung von Studiengebühren das Gegenteil bewirken. Durch Studiengebühren wird eine weitere Zugangshürde beim Hochschulzugang errichtet. Gerade Menschen aus sozial und finanziell schlechter gestellten Schichten werden vor einem Studium zurückschrecken, wenn sie wissen, dass sie neben den »normalen« Studien- und Lebenshaltungskosten irgendwann Gebühren zahlen müssen und am Ende des Studiums neben den BAföG-Rückzahlungen vor einem weiteren Schuldenberg stehen. So zeigen Untersuchungen, dass sich unter den so genannten LangzeitstudentInnen zu großen Teilen ehemalige BAföG-EmpfängerInnen befinden, die ihr Studium nach Auslaufen der Förderungshöchstdauer oder auf Grund eines Fachwechsels durch Erwerbstätigkeit finanzieren und größtenteils um mehrere Semester verlängern müssen (vgl. ABS-Schriftenreihe Nr. 3, S. 4ff). Studieren wird somit zunehmend vom eigenen bzw. vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Studiengebühren verstärken die soziale Selektion und diskriminieren Lebensentwürfe, die von der Norm »männlich, deutsch, ohne Kinder, ohne Behinderung« abweichen.

Der/die LangzeitstudentIn

Als Grundlage für das zur Verfügung stehende gebührenfreie »Guthaben« dient bei den gängigen Studienkontenmodellen neben dem Studienvolumen insbesondere die Regelstudienzeit. Diese wurde ursprünglich eingeführt, damit die Hochschulen ein Studium in einer bestimmten Zeit studierbar gestalten, ihr Umfang ist bundesweit im Hochschulrahmengesetz geregelt. Mit den tatsächlichen Studienbedingungen bzw. der Durchschnittsstudienzeit hat sie wenig zu tun. Inzwischen wird die Regelstudienzeit immer stärker als Druckmittel gegen die StudentInnen eingesetzt. Damit wird die Verantwortung für die Studienbedingungen, die beim Staat und den Hochschulen liegt, auf die StudentInnen abgewälzt. Durch die allgemeinen Rahmenbedingungen wird das Einhalten der Regelstudienzeit für die meisten StudentInnen unmöglich. So zwingt die unzureichende Studienfinanzierung und fehlende soziale Absicherung viele StudentInnen (nach der 17. Sozialerhebung des DSW sind es 63 Prozent) zur studienbegleitenden Erwerbstätigkeit. Hinzu kommt noch die bekannte unzureichende Finanzierung der Hochschulen. Überfüllte und fehlende Seminare, Lehrkräftemangel, schlechte Betreuung, unzureichende Ausstattung der Hochschulen mit Büchern, Geräten und Materialien erschweren und verlängern ohne Verschulden der StudentInnen das Studium erheblich (vgl. hierzu ABS Schriftenreihe Nr. 3). Immer mehr StudentInnen versuchen dies über den Besuch kommerzieller Repetitorien u. ä. auszugleichen. Wer sich solche kostenintensive Angebote nicht leisten kann, ist stärker als finanzkräftigere KommilitonInnen auf die Angebote der Hochschule angewiesen.

Über Bildungsgutscheine und Studienkonten werden nun bestimmte Lebensumstände bzw. Lebensentwürfe sanktioniert. Für StudentInnen mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung, für StudentInnen mit Kindern oder ausländische StudentInnen ist es meist besonders schwierig, die Regelstudienzeit einzuhalten. So werden sie von gebührenfreier Weiterbildung ausgeschlossen, da bei zu langer Studiendauer eventuell verbliebene Semesterwochenstunden verfallen. Benötigt der oder die StudentIn aus individuellen oder strukturellen Gründen länger als einen politisch festgesetzten Zeitraum für das Studium, dann müssen Gebühren entrichtet werden. Menschen, die nicht dem Bild der VollzeitstudentInnen entsprechen – sei es, weil sie arbeiten, sei es, weil sie Angehörige pflegen – fallen überproportional häufig in diese Gruppe (vgl. ABS-Schriftenreihe Nr. 3). Daher sind auch der bereits eingangs des Kapitels beschriebene »Abschreckungseffekt« vor Beginn eines Studiums bzw. massive Schwierigkeiten beim Verbleib an der Hochschule und hohe Abbruchquoten nach Einsetzen der Zahlungspflicht zu erwarten. Daran ändern auch Ausnahmeregelungen nichts. Würden sämtliche (auch und gerade finanzielle) Härtefälle berücksichtigt, bliebe von den Gebühren der Studienkonten nicht viel übrig.

So werden mitnichten – wie die Studienkonten- und BildungsgutscheinprotagonistInnen immer wieder behaupten – individuelle Lebensentwürfe berücksichtigt, sondern stattdessen massiv eingeschränkt und bestraft. Daher stellen Bildungsgutscheine auch keine Alternative zu sogenannten Langzeitgebühren dar.

Der/die VielstudiererIn

Durch den durch das »Guthaben« definierten gebührenfreien Zeitraum wird die Intensität und die Zeitdauer des Studiums abnehmen. Wer mehr besuchen möchte, als im Curriculum vorgegeben ist, wer versucht, während des Studiums über den viel zitierten Tellerrand hinauszublicken, wer interdisziplinär studieren möchte, kann dies nicht mehr ohne Einschränkungen tun. Denn ist das Konto aufgebraucht, müssen Gebühren entrichtet werden.

Interdisziplinäres Studieren und zusätzliche Qualifikationen wie Sprach- und EDV-Kurse gehen dann auf Kosten des »Guthabens«, genauso wie das Nichtbestehen von Prüfungen, das dazu führt, dass man den Kurs wiederholen muss. Hierbei ist auch der massiv verschärfte psychische Druck, der ohnehin schon bei Prüfungen entsteht, nicht zu unterschätzen. Auch ein Doppelstudium (z. B. einen Magister- und Diplomabschluss zu machen) oder ein Zweit- bzw. ein Aufbaustudium werden künftig nicht mehr gebührenfrei möglich sein. Das Studienguthaben ist nur auf den ersten Studienabschluss ausgerichtet. Wer das »Guthaben« für Weiterbildung nutzen möchte, wird gezwungenermaßen einen Teil seines Guthabens sparen müssen. »KontoinhaberInnen«, die ihr Studium so schnell wie möglich absolvieren und dabei nur wenige Semesterwochenstunden verbrauchen, sind klar im Vorteil. Kann oder will man das nicht, hat man das Nachsehen.

Die Tendenz, ein Studium mit einem Minimum an (finanziellem) Aufwand an den Anforderungen des Arbeitsmarkts auszurichten, wird verstärkt. Inwieweit aber der Blick dann noch über eine reine Stoffvermittlung und -aufnahme hinaus gehen kann und wird, inwieweit die Aufgabe von Bildung, gesellschaftliche Prozesse kritisch zu begleiten und zu gestalten, wahrgenommen wird und inwieweit eigene Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt werden können, ist mehr als fraglich.

Das Recht auf Bildung beinhaltet auch keine Altersbegrenzung. Die Vorhaben, mit dem Erreichen eines bestimmten Alters ein eventuell noch bestehendes Semesterwochenstundenguthaben verfallen zu lassen, verdeutlichen aber einmal mehr: Bildung soll künftig hauptsächlich Verwertbarkeitsinteressen auf dem Arbeitsmarkt genügen.

Der/die FachwechslerIn

Der Wechsel des Studienfaches wird nicht mehr ohne finanzielle Konsequenzen möglich sein. So ist z. B. in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vorgeschrieben, nur bei einem Fachwechsel während der ersten zwei Semester ein neues Studienkonto zur Verfügung zu stellen. Ein späterer Wechsel ist zwar nach wie vor möglich, allerdings werden die bereits »verbrauchten« Semesterwochenstunden nicht ersetzt. Auch hier wird über den Verfall des Kontos für Weiterbildung und/oder über Gebühren sanktioniert. Eine bessere Beratung vor und während des Studiums wäre stattdessen – auch unabhängig von dieser Problematik – sinnvoll. Ebenso wird der Wechsel des Studienortes, der in der Regel zu einer Studienzeitverlängerung führt (vgl. ABS-Schriftenreihe Nr. 3, S. 4ff), sanktioniert. Abgesehen von der Schwierigkeit unterschiedlicher Gebührenregelungen und ihrer Übertragbarkeit zwischen den Bundesländern werden Studienleistungen anderer Hochschulen oft nicht anerkannt. Neben einem generellen Gebührenverbot auf Bundesebene wäre es wichtig, die Anerkennung von Studienleistungen – auch von im Ausland erbrachten – zu erleichtern. Auch an dieser Regelung wird deutlich, dass der/die StudentIn sich nicht während des Studiums weiterentwickeln darf, sondern von vorneherein genau wissen muss, was er/sie möchte (vgl. hierzu auch Markard 2004). Eine falsche Wahl wird mit Gebühren bestraft.


Aktionsbündnis gegen Studiengebühren - http://abs-nrw.de/argumente/studienkonten/0198.html - Ausdruck erstellt am 21.06.2006, um 08:39:38 Uhr