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27.04.2004

Kapitalbildung

Zum Beispiel Australien

Der folgende Artikel wurde am 21. April 2004 in der Uni-Beilage der Tageszeitung junge Welt erstveröffentlicht.

 

von Klemens Himpele

 

Das Beispiel Australien lehrt: Ganz egal wie intelligent »nachlaufende Studiengebühren« erscheinen mögen. Nutznieser sind der Staat und die Wirtschaft. Von Klemens Himpele

 

Die Diskussion um Studiengebühren ist um eine Variante reicher. Das Modell der »nachlaufenden Studiengebühren« soll angeblich alle Bedenken gegen ein kostenpflichtiges Studium zerstreuen. Als Vorbild führen deren Verfechter Australien an, wo diese Form der Studiengebühren niemanden vom Hochschulzugang abgeschreckt und die Finanzausstattung der Hochschulen deutlich verbessert hätte. Was aber unterscheidet »nachlaufende Gebühren« von anderen Systemen, und was lehren die australischen Erfahrungen wirklich?

 

Das australische Modell »Higher Education Contribution Scheme« (HECS) wurde in den 1980er Jahren eingeführt. Erklärtes Ziel war es, die Einnahmen zum Bau neuer beziehungsweise zur Erweiterung bestehender Hochschulen zu verwenden, um auf diesem Wege zusätzliche Studienplätze bereitzustellen. Seither sind die Hochschulen angehalten, Studiengebühren zu erheben, entweder direkt von den Studierenden oder indirekt vermittels des Staates, der die Kosten für einen Teil der Studienplätze erst vorschießt und nachträglich bei den Studierenden eintreibt. Diese haben die Wahl, das Geld sofort mit einem Abschlag zu zahlen oder nach Ablauf des Studiums durch einen Steueraufschlag an den Fiskus abzustottern. Dabei werden die Gebühren, sobald man eine bestimmte Einkommensgrenze überschreitet, anteilig auf die Steuerschuld angerechnet und schrittweise abbezahlt. Auf diesem Weg, argumentieren die Erfinder des HECS-Systems, würde der Abschreckungseffekt für den Beginn eines Studium ausbleiben, den eine hohe Verschuldung nach Aufnahme eines Darlehens mit sich bringt.

 

Gesicherte Aussagen darüber, ob und inwieweit sich die unterstellte Sozialverträglichkeit mit der Realität deckt oder nicht, lassen sich nicht treffen. Belastbares empirisches Datenmaterial zur sozialen Situation und Herkunft der Studierenden auf dem fünften Kontinent liegen bis heute nicht vor. Ein Urteil fällt auch deshalb schwer, weil die Einführung der Gebühren mit einem massiven Hochschulausbau einhergegangen ist. Zuvor war vielen Schulabgängern der Weg an die Hochschulen schlicht durch den Mangel an Studienplätzen verbaut. Soziale Verzerrungen sind aber bereits im Modell selbst angelegt: Die Möglichkeit einer Sofortzahlung, die mit einem Teilerlaß honoriert wird, kann nur von denjenigen beansprucht werden, die von Haus aus über das nötige »Kleingeld« verfügen. Alle anderen müssen die Schulden langsam abstottern, wodurch ihnen der »upfront-payer«-Rabatt entgeht. Hinzu kommt der geschlechtsspezifische Aspekt: Frauen verdienen in der Regel deutlich weniger als Männer und sind daher zu einer längerfristigen Rückzahlung gezwungen.

 

Bemerkenswert an der Konstruktion in Australien ist auch Trennung zwischen HECS-und »normalen« Studienplätzen, die gebührenpflichtig sind. Wer bei der Bewerbung um einen HECS-Platz leer ausgeht, muß schon aus besseren sozialen Verhältnissen stammen, um sich ein Studium überhaupt leisten zu können. Interessant auch die neueren Entwicklungen des HECS-Systems, insbesondere die Aufsplittung der Gebühren in drei Preiskategorien: Besonders kostenintensiv sind die Fächer Medizin und Jura, vergleichsweise »billig« sind die Geistes- und Kulturwissenschaften, dazwischen rangieren die Naturwissenschaften. Die Klassifizierung bildet keineswegs die jeweilige Kostenausstattung der Fächer ab (Jura ist als reine Buchwissenschaft vergleichsweise kostengünstig), sondern die von Saats wegen unterstellte und suggerierte Wertigkeit nach Maßstäben der ökonomischen Verwertbarkeit – die Fächerwahl wird zu einer Investionsentscheidung.

 

Noch in anderer Hinsicht ist das australische Modell für die deutsche Diskussion aufschluß- und lehrreich. Ein gängiges, wenn auch fadenscheiniges, Argument für Studiengebühren ist der Verweis auf die leeren öffentlichen Kassen und die schlechte Finanzausstattung der Hochschulen. Ergo müßten die Mehreinnahmen aus Gebühren den Hochschulen direkt zugute kommen. Und obwohl genau dies in Australien praktiziert wird, hat sich die Finanzsituation der Hochschulen mitnichten verbessert. Denn in dem Maße, wie die Studierenden für ihr Studium zahlen, werden die staatlichen Zuschüsse zurückgefahren. Die Hochschullehrergewerkschaft und der nationale Studierendenverband haben dazu eine Studie vorgelegt und treffend überschrieben: »Students pay more, universities get less, the government pockets the difference.« Frei ins Deutsche übersetzt: »Der Staat stiehlt sich aus der Verantwortung und die Studierenden müssen es ausbaden«

 

Erst dieser Zusammenhang macht das australische Modell zum »Erfolgsmodell« auch und gerade für Deutschland. Je klammer der Fiskus, desto stärker der »Sachzwang«, die  Systeme der öffentlichen Daseinsvorsorge, wozu hierzulande über Jahrzehnte hinweg auch das Bildungssystem zählte, auf Mindestniveau zu stutzen. Daß es die großzügigen Steuergeschenke an die Wirtschaft waren, die den »Sparzwang« erst zum Glaubensbekenntnis machten, verweist sowohl auf die Ursache als auch den »Ausweg« aus der Krise: Kann sich der Staat die Hochschulen nicht mehr leisten, muß sich der Student seine Bildung käuflich erwerben und, was noch entscheidender ist, seinen Bildungsweg gemäß einer Kosten-Nutzen-Rechnung kalkulieren. Bezahlen wird der Student nur für das, was sich am Ende bezahlt macht und die Kosten wieder reinholt. Bildung wird zur Ware, die Hochschule zum Bildungsanbieter, der Student zum Kunden. Die Nachfrage nach Fächern mit Zukunft bestimmt das Angebot – der »Philosophiestudent« stirbt aus. Die Abwicklung gesellschafts- und geisteswissenschaftlicher Fächer ist schon heute in vollem Gange.

 

Was folgt daraus? Studiengebühren können noch so »intelligent« sein, im Ergebnis läuft jedes erdenkliche Modell auf dasselbe Ergebnis hinaus. Ziel ist es, die Finanzierung der Hochschulen von der staatlichen auf die private Ebene zu verlagern und Bildung und Wissenschaft dem Verwertungsprinzip zu unterwerfen. »Nachlaufende Studiengebühren« erfüllen vor allem eine Türöffnerfunktion auf dem Weg dorthin. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um ein Mehr oder Weniger an Sozialverträglichkeit nicht mehr als eine Scheindebatte, die vom wesentlichen ablenkt.

 

Klemens Himpele ist Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) mit Sitz in Bonn und Projektleiter Bildungspolitik des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität Köln


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