Viele Studierende haben in letzter Zeit Post vom Verwaltungsgericht oder von den Hochschulen wegen der Fortführung der Studiengebührenklagen erhalten. In diesem Schreiben wird auf die aktuelle Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen und den Studierenden nahe gelegt, zu überprüfen, ob das Klageverfahren fortgeführt werden soll oder nicht. Im Folgenden dazu einige Hinweise und Empfehlungen:
I) Richtig ist, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen am 01.12.2004 Urteile gefällt hat, wonach die Einführung der Studiengebühren grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Gegen dieses Urteil haben wir einen Antrag auf Zulassung der Revision beim Bundesverwaltungsgericht gestellt. Dieser Antrag ist abgelehnt worden und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass es sich hier um Landesrecht handele. Deshalb haben wir insoweit Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht kann allerdings noch einige Zeit dauern. Im Folgenden ist zu unterscheiden, zu welcher „Fallgruppe“ man mit seinem Klageverfahren gehört:
1. „Normaler Langzeitstudierender“
Wer „nur“ Langzeitstudierender ist, also die Semesterzahl schlicht überschritten hat und zu keiner der folgenden Sondergruppen gehört, sollte ein Schreiben des folgenden Inhalts an das Verwaltungsgericht schicken: „Ich komme zurück auf Ihr Schreiben vom.... Vor dem Bundesverfassungsgericht ist in dieser Angelegenheit ein Verfassungsbeschwerdeverfahren anhängig. Dies trägt das Aktenzeichen 1 BvR 1938/05. Ich rege an, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten. Nennenswerte Nachteile entstehen dem Beklagten dadurch nicht, denn ich habe meine Studiengebühren bereits gezahlt. Mit einem Ruhen des Verfahrens bin ich einverstanden.“ Es bleibt abzuwarten, wie die Universität und das Verwaltungsgericht darauf reagieren.
2. „Besondere Fallgruppen“ Es gibt eine ganze Reihe von Fallgestaltungen, bei denen es neben der allgemeinen Problematik der Langzeitstudiengebühren noch besondere Probleme gibt. Das sind die folgenden Gruppen, bei denen durchweg noch Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht anhängig sind. Die Rechtslage ist in diesen Verfahren alles andere als klar, es ist also auch nicht davon auszugehen, dass die Studierenden hier in diesen Verfahren unterliegen werden. Deshalb besteht in diesen Verfahren kein Grund das Klageverfahren zurück zu nehmen. Im Einzelnen geht es um folgende Gruppen:
a) Seniorenstudium
Bekanntlich werden auf Grund von § 2 Abs. 4 StKFG alle Studierenden, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, zu Studiengebühren herangezogen. Unter dem Aktenzeichen 15 A 5046/04 ist insoweit ein Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht anhängig. Es geht insbesondere um die Frage, inwieweit hier eine Vereinbarkeit mit der EU-Richtlinie gegen die Altersdiskriminierung gegeben ist und inwieweit der Gesetzgeber hier pauschalieren durfte.
b) Zweitstudium Hier ist ein Verfahren unter dem Aktenzeichen 15 A 1540/05 beim Oberverwaltungsgericht anhängig. Es geht um Studenten, die sich im Zweitstudium befinden. Vielfach haben diese ein Erststudium in kurzer Zeit abgeschlossen und bekommen allein deshalb kein Studienkonto, weil sie dieses Studium besonders schnell abgeschlossen haben und zwar bis zum Wintersemester 2003/2004. Hätten sie sich ein Semester länger Zeit gelassen, dann hätten sie ein Studienkonto bekommen und hätten ggf. im Sommersemester 2004 gebührenfrei studieren können. In dem Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht machen wir geltend, dass es eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt einerseits bei allen Studierenden zu berücksichtigen, ob sie in der Vergangenheit zügig studiert haben und etwa bei Langzeitstudierenden aus diesem Grunde diese Studierenden zu Studiengebühren heran zu ziehen, während Studierende, die in der Vergangenheit zügig studiert haben, dafür durch die Stichtagsregelung bestraft werden. Es geht also insbesondere darum, ob Studierende, die nach zügigem Abschluss des ersten Studiums ein Zweitstudium angefangen und allein deshalb zu Studiengebühren herangezogen werden dürfen.
c) Gremientätigkeit Vielfach haben Studierende sich in Gremien der studentischen und universitären Selbstverwaltung engagiert und haben natürlich nicht ahnen können, dass sich die dadurch ergebenden Studienverzögerungen sich später nachteilig bei der Studiengebührenpflicht auswirken. Insoweit ist unter dem Aktenzeichen 15 A 5045/04 ein Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht anhängig. Auch hier ist nicht absehbar, wie das Verfahren ausgehen wird, da das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hatte, dass Studierende, die sich in der universitären Selbstverwaltung engagieren, einen gesteigerten Vertrauensschutz geltend machen können.
d) Härtefall
Sofern eine wirtschaftliche Notlage im zeitlichen Zusammenhang mit dem Studienabschluss gegeben ist, kommt ein Erlass der Studiengebühren in Frage. Es ist im Einzelnen umstritten, wie hier der Härtefall zu berechnen ist. Studierende, bei denen ein solcher Härtefall abgelehnt worden ist, weil sie angeblich über zu hohes Einkommen verfügen, können durchaus hoffen. Unter dem Aktenzeichen 15 A 5228/04 ist ein Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen anhängig. In der ersten Instanz hatten wir in dieser Angelegenheit auch einen Teilerfolg erzielen können. Das Verwaltungsgericht Minden hatten das Rektorat der Universität Bielefeld verpflichtet, neu über den Härtefallantrag zu entscheiden, weil es die Verfahrenspraxis der Universität für ermessensfehlerhaft hielt. Die Universität hat sich aber genau so verhalten, wie dies durch das Ministerium letztlich vorgegeben war, und wie sich auch die Universität Münster verhält.
e) Ausländische Studierende
Wer außerhalb der europäischen Union einen Hochschulabschluss erworben hat und zum Studium nach Nordrhein-Westfalen kommt, muss nach Rechtsauffassung des Ministeriums und der Hochschulen Studiengebühren bezahlen. Für ihn wird nämlich kein Studienkonto eingerichtet. Er verfüge über einen berufsqualifizierenden Abschluss. Berufsqualifizierend sei der Abschluss in seinem Heimatland und es komme nicht darauf an, ob er auch in Deutschland berufsqualifizierend sei. Insoweit ist ein Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht unter dem Aktenzeichen 15 A 3379/05 anhängig. Zweifelhaft ist insoweit insbesondere, ob diese Gesetzesauslegung zutreffend ist. Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Landesregierung war genau eine solche Regelung vorgesehen worden. Diese ist dann in der später Gesetz gewordenen Fassung nicht mehr so eindeutig enthalten. Vielmehr wird jetzt darauf abgestellt, ob es sich um einen „berufsqualifizierenden Abschluss“ handelt. Wir sind der Auffassung, dass dieser Begriff einheitlich für alle gleich ausgelegt werden muss. Erfolgsaussichten sind schon deshalb zu bejahen, weil das Oberverwaltungsgericht insoweit Studierenden bereits Prozesskostenhilfe bewilligt hat.
f) Studierende aus anderen Bundesländern
Wer in einem anderen Bundesland einen ersten Abschluss im Sommersemester 2004 oder später erworben hat und nach Nordrhein-Westfalen kommt, um hier in einem Aufbaustudiengang weiter zu studieren, wird zu Studiengebühren herangezogen und zwar deshalb, weil er während seines ersten berufsqualifizierenden Studiums nicht in Nordrhein-Westfalen eingeschrieben war. Den Studenten wird also letztlich vorgehalten, sie hätten nicht in Nordrhein-Westfalen studiert. Begründet wird dies damit, dass die Regelungswirkung des Gesetzes auf eine Beschleunigung des Studiums gerichtet sei und dieser Effekt natürlich nur dann eintreten könne, wenn die Studierenden auch in Nordrhein-Westfalen studierten. Wer nun in einem anderen Bundesland zügig studiert hat und dann einen Masterabschluss in Nordrhein-Westfalen machen will, muss Studiengebühren bezahlen, während jemand anderes, der in Nordrhein-Westfalen ein erstes Studium absolviert hat und vielleicht sogar länger studiert hat, als ein Student aus Sachsen, keine Studiengebühren zahlen muss. Das halten wir für eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Insoweit ist ein Klageverfahren unter dem Aktenzeichen 15 A 3380/05 anhängig.
3. Konsequenzen
Wer zu einer der oben beschriebenen Fallgruppen gehört sollte also auf das Schreiben des Verwaltungsgerichts wie folgt antworten: Ich meine, dass es in meinem Fall auf die Problematik ankommt, die Gegenstand des Berufungsverfahrens .... (entsprechendes Aktenzeichen einsetzen) vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen ist. Ich rege an, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten.
II) Kosten In dem Schreiben des Verwaltungsgerichts wird darauf hingewiesen, dass die Klage noch gebührenfrei zurück genommen werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass man innerhalb der vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist die Klage zurücknehmen muss. Es ist vielmehr ausreichend wenn, für den Fall, dass das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumt, man zehn Tage vor dem Verhandlungstermin die Klage zurück genommen hat. In diesem Fall fallen keine Gerichtskosten an. Es besteht also keinerlei Notwendigkeit, auf das Schreiben des Gerichtes hin jetzt sofort die Klage zurück zu nehmen. Außerdem kann man natürlich auch Prozesskostenhilfe beantragen. Nähere Informationen findet ihr hier http://www.justiz.nrw.de/BS/Gerichte/Verwaltungsgericht/pkh_text/pkh.html Aktualsierung 3.7.2006
III) Vergleich
Sollten sich weder das Gericht noch die Hochschule auf ein Ruhen des Verfahrens einlassen, bietet sich der Abschluss eine sog. „Verfahrensvergleichs“ an. Damit trifft man eine Regelung mit der Hochschule, wie künftig mit dem Fall verfahren werden soll und beendet gleichzeitig das Verfahren vor dem Gericht. Ein solcher Verfahrensvergleich hätte dann den folgende Inhalt:
1. Der Kläger/die Klägerin nimmt die Klage zurück.
2. Die Hochschule verpflichtet sich über die Gebührenpflicht des Klägers/der Klägerin neu zu entscheiden, wenn das Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren 1 BvR 1938/05 die Verfassungswidrigkeit des StKFG feststellt.
Zu einem solchen Verfahrensvergleich kommt man wie folgt:
Man richtet an die Hochschulen ein Schreiben etwa mit dem folgenden Inhalt:
„Auch Sie werden in meinem Verfahren (Aktenzeichen …) die Mitteilung des Verwaltungsgerichts … … erhalten haben, mit dem angefragt wird, ob und ggf. mit welcher Begründung das Verfahren fortgeführt werden soll.
Da inzwischen die Frage der Verfassungsmäßigkeit des StKFG Gegenstand eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens mit dem Aktenzeichen 1 BvR 1938/05 ist, rege ich an, dass wir einen Verfahrensvergleich mit dem folgenden Inhalt schließen:
1. Die Klage wird zurückgenommen.
2. Die Hochschule … verpflichtet sich über meine Gebührenpflicht neu zu entscheiden, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des StKFG feststellt.“
Wenn das Verwaltungsgericht bereits einen Termin zur Verhandlung anberaumt hat und eine Klage vor dem 01.07.2004 erhoben wurde, kommt es im Hinblick auf die Rücknahme der Klage darauf an, dass die Klagerücknahme innerhalb einer Woche vor dem Termin zur Verhandlung beim Gericht eingeht. Dann fallen keine Gerichtskosten an. In diesem Falle sollte man die Hochschule um eine möglichst schnelle Entscheidung bitten.
Das Verwaltungsgericht informiert man das zweckmäßigerweise in einem gesonderten Schreiben etwa mit dem folgenden Anhang:
In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren xy gegen Hochschule xy, (Aktenzeichen …) teile ich mit, dass ich gegenüber dem Beklagten angeregt habe, einen Verfahrensvergleich zu schließen. Mein Schreiben füge ich bei.
Nun zu den Vorteilen des Verfahrensvergleichs:
Der Verfahrensvergleich ermöglicht zum einen, dass für den Fall, dass das Gesetz tatsächlich verfassungswidrig ist, über die Gebührenpflicht neu entschieden wird. Der Studierende, der die Gebühren gezahlt hat, erhält sein Geld zurück. Was er nicht zurück erhält, und das ist der Nachteil dieses Vergleichs, sind die Zinsen. Der zweite Vorteil des Verfahrensvergleichs liegt darin, dass Gerichtskosten gespart werden. Wenn man die Klage vor dem 01.07.2004 erhoben hat, fallen keine Gerichtskosten an, wenn man innerhalb einer Woche vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung die Klage zurücknimmt. Wer die Klage nach dem 01.07.2004 erhoben hat, kann die Klage theoretisch noch im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zurücknehmen. Er muss dann Gerichtskosen in Höhe von 45,00 € zahlen sowie ggf. außergerichtliche Kosten der Gegenseite. Insoweit empfiehlt es sich natürlich auch, den Verfahrensvergleich zu schließen.
Die Alternative zum Abschluss des Verfahrenvergleichs liegt darin, das gerichtliche Verfahren fortzuführen. Angesichts der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts dürfte das Verwaltungsgericht nicht einmal die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zulassen. Das führt dazu, dass man weitere 135,00 € in das gerichtliche Verfahren investiert, ohne allzu viel zu erreichen. Will man dann einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, stellt sich neben den rechtlichen Problemen, dies überhaupt durchzusetzen, erneut die Kostenfrage, weil man dafür nämlich einen Anwalt benötigt. Es spricht deshalb alles für diesen Verfahrensvergleich.