18.05.2006
"Noch besteht die Chance, Gebühren zu verhindern"
Interview in der Jungen Welt mit Jochen Dahm vom 18.5.2006
Tageszeitung: Junge Welt vom 18.5.2006. Die Originalquelle findet sich hier.
»Noch besteht die Chance, Gebühren zu verhindern«
Proteste der Studierenden weiten sich aus.
Wut über Ignoranz der Regierenden. Eskalationen gingen aber von Polizei aus. Ein Gespräch mit Jochen Dahm Jochen Dahm ist Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren
Am Dienstag demonstrierten in Düsseldorf zwischen 8 000 und 10 000 Studierende gegen Bildungsabbau und die Einführung von Studiengebühren. War das ein Auftakt nach Maß für den angekündigten »heißen Sommer«?
Auf alle Fälle. Verglichen mit den zurückliegenden Protesten im Wintersemester waren sehr viel mehr Menschen beteiligt. Erstmals gingen außerdem Studierende, Professoren und Hochschulangestellte gemeinsam auf die Straße.
Glauben Sie, die NRW-Landesregierung läßt sich von ein paar tausend Demonstranten beeindrucken oder gar von ihrer Politik abbringen?
Unser Ziel ist und bleibt es, das Gesetz zu Studiengebühren zu verhindern. Dafür bedarf es natürlich noch größerer Anstrengungen. Aber wir stehen mit unserer Kritik nicht alleine. Der Unmut gegen die Regierung Rüttgers wird jeden Tag größer, Proteste im Land gibt es fast täglich. Das wird die Regierung auf die Dauer nicht aushalten …
… und deshalb ihr Studiengebührengesetz sowie das geplante neue Hochschulgesetz einstampfen?
Das Gebührengesetz ist zwar beschlossen, aber eben noch nicht umgesetzt. Wir müssen die Senate der einzelnen Hochschulen überzeugen, vom Bezahlstudium die Finger zu lassen. Je mehr Hochschulen davon Abstand nehmen, desto größer die Chancen, das gesamte Projekt zu stoppen.
Das hieße also, die Strategie der Regierung zu durchkreuzen. Laut Gesetzeslage entscheiden die Hochschulen eigenständig über die Erhebung von Studiengebühren.
Es ist nicht nur die Strategie der Regierung, Lehrende und Studierende gegeneinander auszuspielen. Es ist Teil der Ideologie, insbesondere der FDP, die Konkurrenz zwischen und in den Hochschulen zu forcieren und diese zu Unternehmen umzubauen. So gesehen war der in Düsseldorf demonstrierte Zusammenhalt ein wichtiges Signal. Studierende und Dozenten müssen an einem Strang ziehen.
Erfahrungsgemäß nimmt die Protestbereitschaft bei ausbleibenden Erfolgen rasch ab. Warum sollte es jetzt anders laufen?
Der Trend geht diesmal in die Richtung, daß sich immer mehr Leute engagieren. Die Vollversammlungen an den Hochschulen sind regelmäßig überfüllt, die Zahl der Aktiven und die der Proteste steigt. Die Menschen haben begriffen, daß jetzt noch die Chance besteht, Studiengebühren zu verhindern.
Die Zentren der Kundgebungen sind gegenwärtig NRW, Hessen und Hamburg. Kann daraus eine bundesweite Bewegung entstehen?
Auch in anderen Ländern tut sich etwas. In Schleswig-Holstein gibt es Widerstand, obwohl die große Koalition lediglich mit dem Gedanken spielt, Gebühren einzuführen. In München findet am heutigen Donnerstag die letzte Lesung des Studiengebührengesetzes der Regierung Stoiber statt – auch dort sind Proteste angekündigt. Und nach jetzigem Stand soll es am 28. Juni bundesweit ein gemeinsames Signal geben. Voraussichtlich wird zu dezentralen Demonstrationen in drei größeren Städten mobilisiert.
Die Mainstream-Medien haben kaum Notiz von der Demo in Düsseldorf genommen. Wie erklären Sie sich das?
Es ist nicht so, daß man uns ignorieren würde. Allerdings fällt schon auf, daß vor allem über uns berichtet wird, wenn es zu »Ausschreitungen« oder »Gewalttätigkeiten« gekommen ist.
Bei Rektoratsbesetzungen kam es immer wieder zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei, bei einer Demo in Frankfurt (Main) wurden neulich sogar Straßenblockaden errichtet und Mülltonnen in Brand gesetzt. Sind das erste Anzeichen einer Revolte?
Viele Studierende haben das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden. Klar, daß sich da eine Menge Wut anstaut. Die Eskalation ist aber in den meisten Fällen von der Polizei ausgegangen. Auch am Dienstag in Düsseldorf. Wie sich die Proteste insgesamt entwickeln, ist noch völlig offen.
Die Linksfraktion im Bundestag hat gefordert, ein Gebührenverbot ins Grundgesetz aufzunehmen. Was halten Sie davon?
Ich finde den Vorstoß gut, und vor dem Hintergrund der Föderalismusreform trifft er auf einen wunden Punkt. Ohne ausreichend Bundeskompetenzen für Bildung werden Zukunftschancen bald nicht nur vom Geldbeutel der Eltern, sondern auch vom Wohnort abhängen.
Interview: Ralf Wurzbacher