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30.05.2006

„Ich lasse mich nicht in Versuchung führen“

FAZ.NET Interview mit Clemens Klocker, Präsident der FH Wiesbaden vom 30.6.2006

FAZ.NET vom 30.Mai 2006. Die Originalquelle findet sich hier.

„Ich lasse mich nicht in Versuchung führen“

Die FH Wiesbaden könnte sieben Millionen Euro mehr im Etat haben - ihr Präsident Clemens Klockner ist trotzdem gegen Studiengebühren

Ihr Frankfurter Kollege, Universitätspräsident Steinberg, ist als Befürworter der geplanten Studiengebühren bei seinen Studenten derzeit ziemlich unbeliebt. Bedauern Sie ihn ein wenig?

Ich bedaure Kollegen nur, wenn sie persönliche Probleme haben. Herr Steinberg ist ein starker Präsident. Er hat schon manches durchgestanden, er wird auch das durchstehen. Nun ja: Er könnte sich Ärger vom Hals schaffen, wenn er seine Haltung zu Studiengebühren überdenken würde.

Haben Sie Verständnis für die teils aggressiven Proteste gegen das Gebührengesetz?

Bei drei Vollversammlungen der FH Wiesbaden habe ich eine sehr gute Diskussionskultur erlebt. Es kamen auch Studierende zu Wort, die den Gebühren etwas abgewinnen konnten, und sie sind nicht niedergebrüllt worden. Die Proteste vor dem CDU-Landesparteitag in Wiesbaden waren ebenfalls weitgehend friedlich - was auch der Polizei zu verdanken ist, die sich sehr dialogbereit gezeigt hat.

Halten Sie Autobahnblockaden auch für eine legitime Form der Unmutsäußerung?

Nein, dafür habe ich kein Verständnis. Die Organisatoren der Kundgebungen sollten dafür werben, daß sich so etwas nicht wiederholt. In der Öffentlichkeit gibt es großes Verständnis für die Ziele der Studenten, solange die Proteste friedlich verlaufen. Blockaden und ähnliche Aktionen könnten dazu führen, daß die Solidarität schwindet.

Glauben Sie, daß sich das Gebührengesetz mit Demonstrationen stoppen läßt?

Bisher scheint die Landesregierung an ihrem Beschluß festzuhalten. Ich hoffe aber, daß Minister Corts mit den Hochschulpräsidenten und den ASten in einen Dialog eintritt. Der Gesetzentwurf kann noch nicht das letzte Wort sein.

Was kritisieren Sie daran?

Ich lehne dieses Paket in seiner Gesamtheit ab. Studiengebühren dürfen nicht eingeführt werden, weil sie Kinder aus Familien mit geringem Einkommen vom Studium abschrecken. Daß der Entwurf für Nicht-EU-Bürger höhere Studiengebühren ermöglicht, ist zudem ein Widerspruch zu den Bekundungen der Landesregierung, die Hessen immer als besonders weltoffen darstellt. Die vielen afrikanischen Studenten, die wir hier an der Fachhochschule haben, können sich Gebühren von bis zu 1500 Euro je Semester nicht leisten. Besonders verwerflich finde ich, daß Bürger aus Nicht-EU-Staaten keinen Anspruch auf ein Darlehen haben. Das ist eine weitere Diskriminierung.

Aber grundsätzlich ist das Darlehensmodell doch sinnvoll: Jeder, der das Abitur hat, kann ein Studium beginnen, egal, wieviel er oder die Eltern verdienen.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Arbeiterkinder, die studieren, bedingt durch den Anstieg der Lebenshaltungskosten, weiter zurückgegangen. Wenn jetzt noch die Gebühren hinzukommen, wird diese Gruppe noch stärker vom Studium abgeschreckt. Es ist eine mentale Schranke, die da errichtet wird.

Läßt sich die nicht dadurch überwinden, daß gerade Geringverdiener nachdrücklich auf das Kreditangebot hingewiesen werden?

Stellen Sie sich vor, Sie sind Sozialarbeiter, werden nach BAT IV bezahlt und liegen damit knapp über der Grenze, unter der Sie das Darlehen nicht zurückzahlen müssen. Dann ist so ein Kredit schon eine enorme Belastung.

Von der Frage der sozialen Gerechtigkeit einmal abgesehen: Glauben Sie, daß Hessen auf Gebühren verzichten kann, wenn die Länder ringsherum sie einführen? Dann werden die hiesigen Unis doch von Gebührenflüchtlingen überrannt.

Das ist ein ernst zu nehmender Einwand. Aber dieser Zustrom wird vielleicht ein, zwei Jahre anhalten. Dann fangen die jungen Leute zu überlegen an: Gehe ich dorthin, wo keine Gebühren zu zahlen sind, und verzichte dafür auf die Nähe zum Elternhaus, wo ich in der Regel kostenlos wohnen kann und verpflegt werde? Die Bereitschaft vor allem von angehenden Fachhochschulstudenten, in andere Bundesländer zu gehen, ist gar nicht so groß.

Die demonstrierenden Studenten werden das Gebührengesetz vermutlich nicht zu Fall bringen - eher schon der Staatsgerichtshof in Wiesbaden. Halten Sie den Entwurf für verfassungsgemäß?

Das Rechtsgutachten, auf das sich die Landesregierung stützt, analysiert sehr genau die Spruchpraxis des Staatsgerichtshofs, und der Verfasser, Herr Pestalozza, hat einen guten Ruf. Insofern ist das schon ernst zu nehmen. Aber ich hoffe trotzdem, daß die Opposition den Staatsgerichtshof anruft und daß die Antragsteller sich gut beraten lassen. Wenn der Gerichtshof das Gesetz verwerfen würde, wäre das für mich ein Freudentag.

Eine Prognose, wie die Sache ausgehen könnte, wagen Sie nicht?

Nein. Aber allein daß sich die fünf Präsidien der hessischen Fachhochschulen und viele Hochschulsenate gegen den Gesetzentwurf wenden, ist schon ein großer Erfolg.

Sie persönlich sind doch jetzt in einer komfortablen Situation. Als Gebührengegner haben Sie keinen Ärger mit Ihren Studenten. Und wenn das Gesetz durchgeht, profitiert die FH Wiesbaden wie alle anderen Hochschulen von den Einnahmen.

Bei der jetzt angenommenen Studierendenzahl würden wir sieben Millionen Euro im Jahr bekommen. Das ist in der Tat eine enorme Summe, und ich könnte Ihnen zwanzig, dreißig Projekte nennen, die wir damit finanzieren könnten. Aber ich lasse mich nicht in Versuchung führen. Das Land könnte die 135 Millionen Euro, die durch Studiengebühren eingenommen werden sollen, aus Steuermitteln aufbringen.

Aber wenn die Gebühren kommen, nehmen Sie doch das Geld.

Als Präsident kann ich nicht das Gesetz brechen. Es gibt darin allerdings auch Kann-Bestimmungen. Ich werde von Masterstudenten und Nicht-EU-Bürgern keine 1500 Euro Studiengebühr verlangen. Da ist dann meine Glaubwürdigkeit gefragt.

Teilen Sie die Auffassung des Darmstädter Uni-Präsidenten Wörner, daß sich Gebühren für die Hochschulen gar nicht lohnen, weil mit den dann wahrscheinlich sinkenden Studentenzahlen auch die Zuschüsse vom Land zurückgehen?

Ja. Und noch etwas anderes macht mir Sorgen. Im Gesetzentwurf heißt es, daß es keine Abzüge wegen der Gebühren gibt - solange der Hochschulpakt gilt. Bis zum Beweis des Gegenteils fürchte ich, daß der Finanzminister nach Ablauf des Pakts der Versuchung nicht widersteht, die Landesmittel um die Gebühreneinnahmen zu kürzen. Wissenschaftsminister kämpfen ja meist ehrenvoll für ihr Ressort. Aber Finanzminister versuchen, jeden Euro bei sich zu behalten - das lehrt die Erfahrung.

Sie sind bekanntermaßen kein Parteigänger der CDU, und jetzt liegen Sie auch noch in der Gebührenfrage mit der Regierung über Kreuz. Wie kommen Sie derzeit mit Herrn Corts klar?

Ich habe den Minister nach anfänglichen Schwierigkeiten schätzengelernt. Ich kann mit ihm reden, und er hört mir zu. In vielen Dingen bin ich anderer Meinung als er, aber er hat mir das noch nie nachgetragen.


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