08.06.2006
"Nicht mehr Geld durch Studiengebühren"
ZDF-Online Interview mit Wirtschaftsrechtler Bernd Nagel
ZDF-Online vom 7. Juni 2006. Die Originalquelle findet sich hier
"Nicht mehr Geld durch Studiengebühren"
Wirtschaftsrechtler hält nicht viel vom "Bezahl-Studium"
In einer umfassenden Studie hat sich der Wirtschaftsrechtler Bernhard Nagel von der Kassler Universität mit den Auswirkungen von Studiengebühren beschäftigt. Er untersuchte die Gebühren-Modelle in Amerika, England, Schottland, Australien, Neuseeland, Österreich und in den Niederlanden und kam zu einem anderen Ergebnis als die meisten Gebühren-Befürworter.
ZDFonline: Wir haben beim Thema Studiengebühren meistens das amerikanische Modell vor Augen, mit immensen Gebühren - ist das auf Deutschland übertragbar?
Bernhard Nagel: Man weiß nicht, wie die Entwicklung verläuft. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass in absehbarer Zeit Studiengebühren in der Höhe genommen werden, wie sie zum Beispiel Harvard und Yale verlangen. Aber die Entwicklung in England zeigt ja, dass man Studiengebühren aufstocken kann. Da wurde mal mit 1000 Pfund im Jahr angefangen und jetzt ist man in der Spitze immerhin auf 3000 Pfund hoch gegangen. Insofern kann man auch sehen, dass die Zeit nicht stehen bleibt. In den Niederlanden kann man sehen, dass die Gebühren auch ausgeweitet werden. Man wird also sicherlich einen Trend zur Erhöhung der Studiengebühren beobachten können, wenn sie erst mal eingeführt worden sind.
ZDFonline: Aber gerade die USA werden immer als Beispiel angeführt, dass Studiengebühren keine sozialen Abschreckungseffekte haben.
Nagel: Die genauen Untersuchungen zeigen, dass es natürlich einige wenige hochintelligente Studenten aus weniger betuchten Kreisen gibt, die mithilfe eines Stipendiums auch in Harvard studieren können. Aber die Regel ist, dass diese Bevölkerungsschichten nicht an einen Studienplatz in Harvard herankommen. Das können sich nur die Reichen leisten, und das konnte sich bisher die Mitteklasse leisten. Allerdings wird die Mitteklasse abgedrängt, weil die Studiengebühren sich in den vergangenen Jahren dramatisch erhöht haben. Und die Studenten aus dieser Schicht müssen dann auf die staatlichen Universitäten gehen, in denen die Gebühren niedriger sind. Das wird entsprechend ein Rennen nach unten sein.
ZDFonline: Für Deutschland wird vor allem das "Australische Gebührenmodell" diskutiert - mit Darlehen, die erst mit einem gewissen Einkommen zurückgezahlt werden. Ist das tatsächlich ein sozialverträglicher Weg?
Nagel: Das ist zunächst ein Subventionsmodell für Reiche in Australien. Wer sofort zurückzahlt, bekommt 25 Prozent Rabatt. Es ist das Modell einer Markthochschule. Es bemisst die Höhe der Gebühren nicht nach den Kosten, sondern nach den späteren Gewinnaussichten. Je mehr "Gewinn" man im späteren Beruf erwarten kann, desto höher sind die Studiengebühren. Deswegen bezahlt in Australien der Jurist, genauso wie der Mediziner oder der Naturwissenschaftler, die höchsten Studiengebühren, und Rabatte werden für die Geisteswissenschaftler gegeben.
ZDFonline: Gab es denn in Australien einen Abschreckungseffekt für junge Leute aus finanziell schwächeren Schichten?
Nagel: Das lässt sich nur schwer nachweisen, weil die Studiengebühren in Australien zu einer Zeit eingeführt wurden, in der es einen hohen Numerus Clausus (NC) gab. Der wurde dann aber abgebaut, sodass mit dem Abbau des NC die Einführung der Studiengebühren einherging. Ich behaupte aber, dass auch in Australien die Interessenten an einem Studium aus finanziell schwächeren Schichten abgeschreckt werden.
ZDFonline: Können dem nicht Darlehen und Stipendien entgegenwirken?
Nagel: Die Erfahrungen aus den Niederlanden zeigen, dass staatliche Stipendien nicht gerne angenommen werden. Und da nun gerade in Nordrhein-Westfalen die Darlehen vom Zinssatz relativ hoch sein werden - über fünf Prozent - ist zu erwarten, dass das Modell nicht den gewünschten Erfolg haben wird.
ZDFonline: Es ist schwer, die Lehre zu verbessern, wenn kein Geld da ist - bleiben da nicht eigentlich nur Studiengebühren?
Nagel: Nein, durch die Studiengebühren wird kein Euro mehr an die Hochschulen fließen. Es wird nur dazu führen, dass der Finanzminister die Zuweisungen an die Hochschulen reduzieren wird. Auch wenn der öffentliche Druck sicherlich dazu führen wird, dass das nicht sofort geschieht. Das ist jedenfalls die Erfahrung aus allen Ländern, die Studiengebühren eingeführt haben. Insbesondere die Erfahrungen aus unserem Nachbarland Österreich. Dort sind die Studierendenzahlen um 20 Prozent zurückgegangen, wobei da sicherlich einige Karteileichen drunter waren. Was aber erschreckend ist: Die Zahl der Ersteinschreibungen ist um 15 Prozent zurückgegangen. Und das hat zu einer Delle geführt, die bis heute noch nicht richtig wett gemacht wurde.
ZDFonline: Was ist ihrer Meinung nach denn ein Weg, die Hochschulen besser zu finanzieren?
Nagel: Jetzt sage ich etwas ganz Unpopuläres: Steuern erhöhen. Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer auf 45 Prozent - dann sind viel mehr Gelder in den öffentlichen Kassen als durch die Studiengebühren je hereinkommen werden. Zumal sie ja bei den Studiengebühren noch die Ausfallrisiken bei den Krediten berücksichtigen müssen. Da müssen die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen noch in einen so genannten Ausfallfond einzahlen. Da kommen sie gar nicht ran, das Geld liegt still.
Zur Person:
Bernhard Nagel ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Kassel. Zu seinen Forschungsthemen gehören unter anderem Europäisches Wirtschaftsrecht und Bildungs- und Wissenschaftsrecht. Seit Februar 2005 ist er Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht (IWR) in Kassel.