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20.06.2006

Nachhilfe vom Nachbarn

Junge Welt vom 20. Juni 2006

Junge Welt vom 20.6.2006. Die Originalquelle findet sich hier.

Nachhilfe vom Nachbarn
Großdemonstrationen gegen Studiengebühren und Bildungsabbau angekündigt. Franzosen wollen Proteste unterstützen
Ralf Wurzbacher

Nachhilfe vom Nachbarn
Die laufenden Proteste gegen Studiengebühren steuern gleich auf mehrere Höhepunkte zu. Laut Ankündigung des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) sind für die kommenden Tage und Wochen in Nord­rhein-Westfalen, Hamburg und Hessen insgesamt vier Großdemonstrationen geplant. Den Auftakt bildet am morgigen Mittwoch Düsseldorf, wohin Studierendenvertretungen aus ganz Nordrhein-Westfalen unter dem Motto »Gemeinsam sind wir unkürzbar« zu einer Kundgebung gegen Bezahlstudium, Bildungs- und Sozialabbau mobilisieren. Am 28. Juni folgt ein bundesweiter »Aktionstag für gebührenfreie Bildung«, in dessen Mittelpunkt überregionale Demonstrationen in Hamburg und Wiesbaden stehen werden. Schließlich soll am 6. Juli eine zentrale Protestveranstaltung in Frankfurt am Main stattfinden. Daneben stehen zahlreiche örtliche Aktionen unter anderem in Kiel, Münster und Freiburg auf dem Programm. Die Organisatoren rechnen insgesamt mit mehreren zehntausend Teilnehmern.

Nachdem es in den vergangenen Wochen vor allem in Hessen und Hamburg immer wieder lokal begrenzte, mitunter aber recht heftigen Proteste gegeben hatte, werden die anstehenden bundesweiten Aktionen ein Gradmesser dafür sein, ob und inwieweit die Bewegung inzwischen auch die gesamte Studierendenschaft erfaßt hat. ABS-Geschäftsführer Jochen Dahm zeigte sich in dieser Hinsicht gegenüber junge Welt »guter Dinge«. Immer mehr Studierende würden begreifen, »welche Folgen Studiengebühren und die damit verbundene Ökonomisierung der Bildung haben, nicht nur für den einzelnen, sondern die Gesellschaft als Ganze«. Er sei überzeugt davon, »daß die Proteste ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht haben und sich weiter ausweiten werden«, so Dahm.

Über die Zukunft und Dauerhaftigkeit der Bewegung entscheidet insbesondere auch ihre mediale Präsenz. Offenbar haben die Aktivisten in dieser Hinsicht dazugelernt. Waren die Antigebührenproteste in den Vorjahren bei aller Kreativität stets kreuzbrav geblieben, ist mittlerweile eine Tendenz zur Radikalisierung unverkennbar. In den zurückliegenden Wochen wurden reihenweise Hochschulrektorate und Parteizentralen besetzt und mitunter erst nach handgreiflichen Auseinadersetzungen mit der Polizei geräumt. Blockierte Straßen, Autobahnen und Bahngleise, brennende Mülltonnen, fliegende Steine: In Frankfurt am Main und anderen hessischen Universitätsstädten gehören solche Szenen fast schon zum täglichen Bild.

Auch inhaltlich gehen die Protestierenden neue Wege. Am Wochenende kaperten in Dortmund Studierende ein Werbeschiff der NRW-Bank, weil diese mit dem Angebot von Studienkrediten die Not von Studierenden ausnutzen wolle. Bildungsabbau und Geschäftemacherei gehören eben zusammen. ABS-Chef Dahm spricht in diesem Zusammenhang lieber von »Politisierung« statt Radikalisierung. »Eine Demo wird nicht radikal, nur weil eine Autobahn dazwischen kommt.« Außerdem gehe die Gewalt in den meisten Fällen nicht von den Demonstranten, sondern den Polizeikräften selbst aus. Es gehöre zum Kalkül der Regierenden, den legitimen Widerstand gegen ihre Politik zu kriminalisieren.

So mancher der Aktivisten wünscht sich mittlerweile »französische Verhältnisse« in Deutschland. In Frankreich hatten im Frühjahr Massendemonstrationen – initiiert von Studierenden – ein Gesetz der Regierung zu Fall gebracht, das den Kündigungsschutz für Berufseinsteiger aufgehoben hätte. Tatsächlich haben sich laut ABS sogar Delegationen aus dem Nachbarland zu den hiesigen Großdemonstrationen angekündigt. Von diesen erwartet man sich quasi »Nachhilfe« beim Kampf gegen Studiengebühren und Bildungsabbau. Was die deutschen von den französischen Verhältnissen jedoch maßgeblich unterscheidet, ist die jeweilige Rolle der Gewerkschaften. Zu mehr als demonstrativen Solidaritätsadressen an die kämpfenden Studierenden haben sich die DGB-Gewerkschaften bis dato nicht hinreißen lassen. Von einem gemeinsamen Kampf fehlt bisher fast jede Spur. Immerhin: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) will Tausende Schüler zum Protest in Wiesbaden auf die Straße bringen.

www.abs-bund.de
Hintergrund: Der Studentenberg und seine Kosten
Der von der Kultusministerkonferenz (KMK) prognostizierte Run auf die Hochschulen könnte mit staatlichen Mehrkosten in Milliardenhöhe einhergehen. Das berichtete der Tagespiegel vom Montag unter Berufung auf Berechungen des Wissenschaftsrates. Sollte die Zahl der Studierenden bis 2014 wie vorausgesagt tatsächlich von derzeit zwei auf dann 2,7 Millionen ansteigen, wäre schon im kommenden Jahr mit Mehrausgaben von 700 Millionen Euro zu rechnen. In den folgenden Jahren würden sich die zusätzlichen Kosten dann auf bis zu 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2012 erhöhen.

Hintergrund der erwarteten Studierendenschwemme sind die geburtenstarken Jahrgänge ab Ende der 1980er Jahre. Die KMK geht davon aus, daß künftig 80 Prozent aller Schulabgänger mit Hochschulreife ein Studium aufnehmen werden. Hinzu kommt, daß bereits 2008 mehrere Bundesländer wegen der Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre doppelte Abiturientenjahrgänge entlassen. Die Kostenentwicklung soll laut Wissenschaftsrat entscheidend davon abhängen, ob die Masse der Studierenden sich mit dem Bachelor-Abschluß nach drei Jahren zufrieden gibt. Je mehr anschließend noch einen Master draufsatteln wollen, desto teurer werde es.

Nach Recherchen des Tagesspiegel sind die Bundesländer bis auf wenige Ausnahmen offenbar in keiner Weise auf die Herausforderungen eingestellt. Der Verdacht liege nahe, daß man einem Problem ausweichen will, das quer zu den Begehrlichkeiten der Länder in der Föderalismusreform und zur Haushaltsnotlage der meisten Länder liege. Die Kostenschätzung sei eine der »heißesten Baustellen« in der Bildungspolitik, zitierte die Zeitung einen »Kenner, der nicht genannt werden will«. Eine Lösung haben die Länder jedoch sehr wohl parat. Erfahrungen aus anderen Staaten zeigen, daß die Einführung von Studiengebühren von der Aufnahme eines Studiums abschreckt. (rwu)


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