28.06.2006
"Den Preis in die Höhe treiben"
Interview mit Torsten Bultmann in "Neues Deutschland" vom 28.6.2006
Neues Deutschland vom 28.6.2006. Die Originalquelle findet sich hier.
28.06.06
Den Preis in die Höhe treiben
Warum Studiengebühren falsch sind und es richtig ist, weiter dagegen zu protestieren / Neue Runde bei Protesten: bundesweiter Aktionstag
Torsten Bultmann, Jahrgang 1954, arbeitete lange in der Studierendenbewegung und interessiert sich auch heute noch hartnäckig für Hochschulpolitik. Er ist Geschäftsführer des 1968 gegründeten Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Die Organisation setzt sich für eine Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung ein. So unterstützt sie seit Jahren das bundesweite Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS). Für ND sprach mit ihm Ines Wallrodt.
ND: Was sind die entscheidenden Gründe dafür, dass Studiengebühren eingeführt werden?
Bultmann: Zum einen sollen Studiengebühren den Rückzug des Staates aus der Finanzierung der Hochschulen kompensieren. Daneben gibt es Akteure, die man stark in den Hochschulverwaltungen findet, deren Überzeugungen durch neoliberale Denkfabriken gespeist werden. Studiengebühren haben hier die Funktion einer individuellen Investition in eine künftige Bildungsrendite oder in das eigene Humankapital. Sie sollen ein stärker auf Verwertbarkeit ausgerichtetes Bildungsverhalten und auch eine entsprechende Anordnung wissenschaftlicher Ressourcen befördern. Das sind aus meiner die beiden Hauptrichtungen.
Wenn immer mehr Bundesländer Gebühren einführen: Können die Verbliebenen dann auf sie verzichten?
Einen Wettbewerbs-Effekt konnte man im Kleinen in Nordrhein-Westfalen sehen. Das Wissenschaftsministerium hat einen herrschaftstechnisch sehr geschickten Gesetzentwurf durch den Landtag gepaukt, der lediglich eine Obergrenze für Studiengebühren von 500 Euro festgelegt hat. Jeder Hochschule ist es freigestellt zu entscheiden, ob oder in welcher Höhe sie Gebühren einführt. Ein Senat nach dem anderen hat daraufhin unter Verweis auf die Nachbarhochschule Studiengebühren von 500 Euro beschlossen. Genau so wird es einen negativen Dumpingwettbewerb der Absenkung von Bildungsstandards, der Privatisierung von Bildung zwischen den einzelnen Bundesländern geben.
Der Anpassungsdruck ist also nicht nur vorgeschoben?
Es gibt immer eine politische Alternative. Die Landesrektorenkonferenz NRW hätte im gesetzlichen Rahmen theoretisch sagen können, wir lassen es bleiben. Die Mehrheit der Hochschulleitungen erhofft sich aber Mehreinnahmen, wobei sie so naiv sind, sämtliche Erfahrungen anderer Länder zu ignorieren. Nirgendwo konnten Studiengebühren den Rückzug des Staates aus der Finanzierung kompensieren. Dafür ist Australien das beste Beispiel. Der staatliche Anteil der Hochschulfinanzen beträgt heute nur noch 45 Prozent – und hat sich seit 1989, als Studiengebühren eingeführt wurden, halbiert.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) lobt das australische Studienmodell als sozialverträglich.
Das konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Richtig ist, dass sich die absolute Zahl der in Australien Studierenden in den letzten 20 Jahren drastisch erhöht hat. Das hängt aber vor allem damit zusammen, dass bis 1989 eine flächendeckende Zulassungssperre herrschte und erst danach die Hochschulen in der Fläche ausgebaut wurden. Der Effekt lässt sich so beschreiben, wie es auch australische Bildungsexperten tun, dass soziale Bildungsungleichheit auf einem höheren Akademisierungsniveau reproduziert wurde. Die HRK benennt mit »sozialverträglich« lediglich die finanztechnische Möglichkeit einer staatlichen Vorausfinanzierung der Gebühren, welche aus dem späteren Einkommen abgestottert werden kann. Aber diejenigen z. B., die keine Kredite brauchen und Gebühren direkt bezahlen, bekommen ein Viertel der Summe erlassen. Die finanziellen Bildungsrisiken für einkommensschwächere Gruppen sind in jedem Fall größer.
Schrecken die Gebühren nachweislich ab?
Das ist keine psychologische Frage, sondern eine bildungsökonomische Wahrhei: Je geringer das Ausgangseinkommen, umso höher das finanzielle Risiko, welches mit der Entscheidung für ein Studium verbunden ist. Je länger die Tilgung von Studienkrediten dauert – abhängig von der Einkommenshöhe –, umso höher die Belastung durch Zinsen. Wer weniger reich ist, verliert immer im Spiel.
Gegen Studiengebühren wird seit Jahren protestiert. Offenbar vergeblich.
So rigide würde ich das nicht formulieren. Das bundesweite Aktionsbündnis gegen Studiengebühren hat etwa Proteste koordiniert, die dazu beigetragen haben, die Einführung zu verzögern. Das ist kein bombastischer Erfolg, aber es ist auch nicht nichts. Die gegenwärtigen Proteste knüpfen daran an und steigern sich zugleich. Das hängt damit zusammen, dass die Studierenden jetzt merken, es wird konkret. Die Jahre zuvor war das aus Sicht vieler eine rein theoretische Diskussion.
Mit französischen Verhältnissen sind die Proteste hierzulande aber noch lange nicht zu vergleichen.
Vorerst noch nicht. Aber ich halte es für faszinierend, wie es jetzt teilweise gelingt, die üblichen »Protestrituale« durch kalkulierte Formen des zivilen Ungehorsams, die das öffentliche Leben beeinflussen, zu erweitern.
Der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler will »den politischen Preis für die Einführung von Studiengebühren so hoch wie möglich treiben «. Was meinen Sie damit?
Dass wir einerseits realistisch sehen, dass Studiengebühren zunehmend wahrscheinlich werden und wir es gleichzeitig den Befürwortern von Studiengebühren in den Landesregierungen schwierig machen wollen. Man muss den Legitimationsdruck höher treiben. Wenn Studiengebühren bei ihrer Einführung sehr umstritten sind und danach ihre negativen Effekte zeigen, dann ist die politische Möglichkeit, sie kurz- oder mittelfristig wieder abzuschaffen, vorhanden.
Wurden Gebühren tatsächlich irgendwo wieder abgeschafft?
Ja, Ende der 90er Jahre in Irland aus sozialen Gründen oder an einzelnen österreichischen Fachhochschulen, weil die Studierendenzahlen gesunken sind. Und natürlich in Westdeutschland 1970 im Zuge der sozialen Öffnung der Hochschulen.
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